«Wir haben die besseren Argumente»

Volksstimme – Fr, 10. Juni 2022

Bild: Christian Horisberger

Urs Chrétien will in der Begegnungszone den Fünfer und das Weggli

Gewerbetreibende haben den Abstimmungskampf gegen den für sie existenzbedrohenden autofreien Samstag in einem Teil der Begegnungszone eröffnet. Urs Chrétien beharrt auf seinem Antrag, kommt den Geschäftsinhabern aber entgegen.

Christian Horisberger

Herr Chrétien, «Ihr» autofreier Samstag hat die Gewerbetreibenden aufgescheucht. Sie sagen, die Massnahme gefährde ihre Existenz. Als geringeres Übel unterstützen sie einen Versuch mit einem Einbahnverkehr. Sie selber behaupten hingegen, eine temporär verkehrsbefreite Zone sei eine Chance fürs Gewerbe. Weshalb wissen Sie es besser als die Direktbetroffenen?
Urs Chrétien:
Ich weiss es nicht besser. Wir alle wissen nicht, wie sich der autofreie Samstag letztlich auswirken wird. Mir ist es sehr wichtig, dass die Geschäfte – auch die Firma Muff, die ich sehr schätze – im Dorf bleiben. Ich möchte Geschäftsführer Andreas Müller daher auch entgegenkommen mit einer Zubringer-Lösung, damit der Zugang von der Sonnenkreuzung her bis zu seinem Geschäft möglich bleibt – ebenso zur Papeterie Pfaff.

Sie ändern Ihren Antrag also ab und beharren nicht konsequent auf Ihrer Eingabe?
Ja. Ich finde, dass man miteinander reden und aufeinander hören sollte. Ich bin auch davon abgekommen, samstags einen Wochenmarkt etablieren zu wollen. Dies, um die Ladengeschäfte nicht zu konkurrenzieren.

Wie soll das verkehrsfreie Areal stattdessen genutzt werden?
Der Raum soll in erster Linie den Geschäften zur Verfügung gestellt werden: für Aussenverkaufsstände oder um im grösseren Stil hinauszustuhlen. Ich denke hier an sechs Lokale: Vitrum, Caprice, Sternen, Bistro Cheesmeyer, Sydebändel und der Bergladen, eventuell mit einer Gelateria.

Aus einer Umfrage des Gewerbevereins bei den Betrieben im abzusperrenden Perimeter ging hervor, dass die das gar nicht wollen.

Das war eine Umfrage des Gewerbes. Ich respektiere das Ergebnis. Ich möchte jetzt aber einmal eine «Umfrage» bei der restlichen Bevölkerung machen, was sie für die Begegnungszone möchte. Schliesslich ist diese für alle da und nicht nur fürs Gewerbe.

Sie wollen die Begegnungszone beleben, aber nicht mit einem Markt, sondern mit Strassenlokalen. Deren Betreiber wollen das nicht. Die Rechnung geht doch nicht auf?
Ich denke, die wollen dann schon.

Was für andere Nutzungen kommen für Sie noch infrage?
Das soll nicht vorgegeben werden, sondern entstehen. Es ist vorstellbar, dass der eine oder andere zusätzliche Landwirt oder eine Kleinbrauerei anfragen werden, ob sie an einem Stand ihre Produkte anbieten dürfen. Vielleicht kommt ja auch jemand auf die Idee, vor dem «Cheesmeyer» an der Stelle der drei Parkplätze eine Boule-Bahn unter einem schönen Baum zu installieren. Die Anfragen werden von alleine kommen, sobald der Freiraum zur Verfügung steht.

Wenn es regnet oder kalt ist, dürfte es nicht weit her sein mit Boule-Spielen, Flanieren, Plaudern und «Käffele» in der Begegnungszone. Viele autofreie Samstage dürften eine triste Angelegenheit werden – zu einem hohen Preis fürs Gewerbe.
Bei schlechtem Wetter ist auch der Gartensitzplatz zu Hause leer. Deswegen würde ein Einfamilienhausbesitzer aber nicht darauf verzichten, einen Garten anzulegen.

Andreas Müller vom Haushaltsgeschäft hält Ihnen zugute, dass dank Ihres Vorstosses in der Begegnungszone endlich etwas passiert. Weshalb sind Sie mit dem Einbahnversuch nicht zufrieden und ziehen den Antrag für den autofreien Samstag zurück?
Wir haben 15 Jahre nichts gemacht in der Begegnungszone. Da finde ich, dass man in einem Jahr gut auch zwei Dinge verändern kann.

Dann stehen Sie voll hinter dem Einbahnverkehr-Versuch?
Nicht voll, denn er fliesst in die falsche Richtung. Erstens entstehen die Rückstaus auf der Sonnenkreuzung wegen der aus Richtung Basel kommenden Linksabbieger in die Begegnungszone. Fährt hier keiner rein, könnte der Kanton auf die geplante Einspurstrecke und eine Verbreiterung der Strasse vor der «Sonne» verzichten. Zudem würde das bereits heute problematische Linksabbiegen aus der Rheinfelderstrasse nicht mit einer dritten Spur erschwert.

Und zweitens?
Die zahlreichen Parkiermöglichkeiten ausserhalb der Begegnungszone befinden sich entweder entlang der Bahnhofstrasse oder im oberen Bereich des Zentrums. Wenn man die motorisierten Besucher der Begegnungszone von Westen her einführt, müssen sie das ganze Zentrum durchqueren, um zum ersten Parkplatz zu gelangen. Sinnvoller ist es, den Autolenkerinnen und -lenkern mit dem geplanten Parkleitsystem, das ich sehr begrüsse, zu zeigen, wo es freie Parkplätze hat, und sie zuerst von ausserhalb der Begegnungszone dorthin zu dirigieren, bevor sie überhaupt von Osten her innerhalb der Zone suchen.

Laut Gemeinderat Stephan Marti lehnt der Kanton die Fahrtrichtung von Osten in Richtung Sonnenkreuzung ab.
Unsere Nachfragen beim Kantonalen Tiefbauamt und bei der Verkehrsabteilung der Baselbieter Polizei haben ergeben, dass der Kanton einzig die vom Gemeinderat jetzt vorgeschlagene Variante geprüft hat. Ein Einbahnverkehr in die andere Richtung sei aktuell nicht beurteilt worden. Es gebe für den Kanton keinen Grund, dass man nicht in die entgegengesetzte Richtung fahren könnte. Die Fahrtrichtung zu bestimmen, sei allein Sache der Gemeinde.

Weshalb nicht beide Fahrtrichtungen ausprobieren?
Man sollte einen Versuch mit der plausibleren Variante machen, die zudem keine baulichen Massnahmen braucht. Und das ist nicht die, welche der Gemeinderat vorschlägt.

Wie steht es beim autofreien Samstag? Soll man den auch erst testen oder gleich einführen?
Ladeninhaber Andreas Muff sagte im Interview mit der «Volksstimme», dass er als Unternehmer Planungssicherheit brauche und nicht ständig mit einer neuen Ausgangslage konfrontiert sein will. Das kann ich nachvollziehen. Deshalb beantrage ich keinen Versuch, sondern die definitive Einführung des autofreien Samstags. Aber: Sollten die Sissacher nach einiger Zeit finden, dass er ihnen nichts bringt, können sie ihn per Volksentscheid wieder aufheben.

Das Volk hat nicht immer das letzte Wort. Manchmal sind es auch Gerichte. Sie zweifeln die Rechtmässigkeit eines Stichentscheids an, falls die Gemeindeversammlung am 21. Juni sowohl zum Einbahnversuch als auch zum autofreien Samstag Ja sagen würde. Wie verhalten Sie sich, falls die Situation eintritt?
Ich würde die Versammlungsteilnehmer auffordern, die Stichfrage zu boykottieren und eine Beschwerde gegen einen solchen Beschluss einreichen, falls sie dennoch gestellt wird. Denn Miriam Bucher von der Stabsstelle Gemeinden hat mir bestätigt, dass das vorgesehene Abstimmungsprozedere «sehr beschwerdeanfällig» sei. Dieselbe Information hat übrigens auch der Gemeinderat von ihr erhalten. Ich bin überzeugt, dass ich mit einer Beschwerde durchkäme.

Sie möchten den Fünfer und das Weggli und scheinen sehr davon überzeugt zu sein, dass Sie beides bekommen. Was macht Sie derart zuversichtlich?
Wir haben für die Abstimmungskampagne zwar nicht so viel Geld wie der Gewerbeverein, aber die besseren Argumente.

… und Sie haben kürzlich bei der gewonnenen Tempo-30-Abstimmung bereits gezeigt, dass Sie für eine Gemeindeversammlung mobilisieren können. Damit ist wohl erneut zu rechnen.
(lächelt) Das werden wir sehen.

«Wir haben die besseren Argumente»